2. Generationengespräch

2. Generationengespräch: Der Mensch darf nicht auf der Strecke bleiben

Nach acht Monaten war Siegfried Klippel (*1931) erneut zu einem Generationengespräch im Gymnasium Nord zu Gast. Nachdem er am 19.9.17 von seiner Kindheit und Jugend im Dritten Reich, der Flucht aus seiner Heimatstadt Breslau, der sowjetischen Besatzungszeit und der Vertreibung aus Schlesien berichtet hatte, ging es am 22.5.18 bei seinem Besuch im Ethikkurs der Klassen 6e und 6f um Klippels Arbeit als junger Richter und vor allem um seine Tätigkeit als Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn. Seit 1963 bei der Bundesbahn tätig wurde Klippel nach dem Fall der Mauer 1991 Personalvorstand der Reichsbahn. Als solcher war er darum bemüht, den Beschäftigten der in die Deutsche Bahn eingehenden DDR-Reichsbahn einen gleichberechtigten Platz im neuen gemeinsamen Unternehmen zu verschaffen oder beim Verlust ihres Arbeitsplatzes einen sozial und finanziell abgefeder-ten Übergang in eine andere Arbeit zu eröffnen.

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Siegfried Klippel machte den Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Nord in seinem engagiert vorgetragenen Referat deutlich, dass er bei seiner Tätigkeit als Bahn-Personal-vorstand stets bemüht war, nach dem Leitspruch zu handeln:  „Der Mensch darf nicht auf der Strecke bleiben.“ In diesem Sinn konnte Klippel die Bundesregierung zu der Entschei-dung bewegen, dass die Dienstjahre der bei der DDR-Reichsbahn Beschäftigten voll aner-kannt wurden, was zunächst nicht geplant war. Und im Zusammenhang mit dem Aus-scheiden vieler Menschen aus dem Unternehmen erreichte er die zuerst ebenfalls nicht vorgesehene Auszahlung von Abfindungen, die den Betroffenen einen Übergang  in eine neue Berufstätigkeit eröffneten, der nicht von vorneherein von Krise und Not geprägt war. Letzteres hat er dann auch couragiert im Rechnungsprüfungsausschuss des Bundes-tages verteidigt, in dem die Abgeordneten mit der Meinung des Bundesrechnungshofes konfrontiert waren, man hätte das Geld lieber für die Streckenerneuerung einsetzen sol-len.

Dass für Klippel in seinem beruflichen Handeln auch sein Selbstverständnis als evangeli-scher Christ wichtig war, zeigt eine weitere Episode aus seiner Berliner Zeit, die er den Kindern erzählte: Als eines Tages drei empörte Bahnmitarbeiterinnen aus Stralsund unan-gemeldet sein Büro stürmten, weil eine bahneigene Kita geschlossen werden sollte, in der sie ihre Kinder untergebracht hatten, schickte Klippel sie nicht etwa weg, sondern hörte sie an, rügte den für dieses Thema zuständigen Mitarbeiter, der entsprechende Bittbriefe der Frauen nicht beantwortet hatte, und sorgte schließlich dafür, dass nicht nur die Stralsunder, sondern auch viele weitere Bahn-Kitas erhalten blieben. Die Geschichte macht klar, dass Klippel, der den Kindern des Gymnasiums Nord zum Abschluss seines Besuchs einen Stein aus der Berliner Mauer schenkte, bei seiner Vorstandstätigkeit nie an kalter Machtausübung interessiert war, sondern immer an den Schicksalen der Men-schen, die in seinem Unternehmen tätig waren. Wünschen wir unseren Schülerinnen und Schülern, dass sie in ihrer beruflichen Zukunft auch solchen Verantwortlichen begegnen.

 Dr. Martin Krieger